Joachim Löw: Italiener sind uns Jahrzehnte voraus

In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ hat Bundestrainer Joachim Löw seine öffentliche Kritik an Dortmunds Abwehrspieler Max Hummels verteidigt. Außerdem findet Löw, dass die Italiener der DFB-Elf taktisch um Jahrzehnte voraus seien!

„Das Interview damals war völlig in Ordnung, es ging da ja nur um einen Satz. Mats Hummels meinte darauf, man würde beim DFB Kritik nicht gerne hören. Ich habe dann nur gesagt: mir ist das neu, das soll er mir bitte mal erklären. Das konnte er dann auch nicht so richtig.

Kritisiere, wen ich will

Trainer Jürgen Klopp habe ich bei unserem Gespräch dann gesagt: wenn ich jemanden öffentlich kritisieren will, dann mache ich das auch! Ich mache das sehr selten, aber wenn ich es mal mache, dann ist das mein gutes Recht. Wenn ich das Gefühl habe, Kritik ist in diesem Moment angebracht, dann kann niemand sagen: das dürfen Sie aber nicht! Dann wird das Gründe haben.

Gutes Miteinander

Ich nehme natürlich Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Vereine, aber ich bin der Trainer der Nationalmannschaft! Ich muss die Dinge manchmal auch aus unserer Perspektive sehen. Wichtig ist, dass wir im Gespräch miteinander bleiben, und es gibt auch ein gutes Miteinander zwischen den Vereinen und der Nationalmannschaft. Aber wenn wir anders spielen wollen als Dortmund oder Bayern, dann hat das Gründe, damit stelle ich mich doch gar nicht gegen die Vereine. Wir spielen den Stil der Nationalmannschaft.“

Keine atmosphärischen Probleme

Löw gibt auch zu, dass es nicht einfach war, die Dortmunder Spieler in die Nationalelf zu integrieren. „Es wird natürlich einiges davon abhängen, wie gut es uns gelingen wird, die Blöcke aus Dortmund und München zusammen zu fügen. Ich kann aber die angeblichen atmosphärischen Probleme, über die immer gesprochen wird, nicht erkennen. Wenn ich die Mannschaft beobachte oder Gespräche führe, dann höre ich da keine Antipathie heraus. Ich beobachte ja auch, wer wo sitzt, wer sich mit wem unterhält, und da sehe ich nichts, was mir Sorgen machen würde. Ich wüsste auch nicht, warum Marco Reus oder Marcel Schmelzer mit jemandem ein Problem haben soll.

Dortmunder nicht reibungslos zu integrieren

Es war halt einfach so, dass es lange keine Dortmunder im Nationalteam gab, und dann kam plötzlich ein ganzer Schwung. Das war neu für alle, und es war zugegebenermaßen nicht ganz reibungslos, diesem Block zu integrieren. Aber es war nie so, dass die Bayern gesagt hätten: wir lehnen sie ab! Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger waren zum Beispiel starke Befürworter von Marco Reus. Weil sie schnell gemerkt haben: der hat außergewöhnliche Fähigkeiten, der bringt uns weiter. Und die Bayern und die Dortmunder wissen auch, dass Eitelkeiten der Sache nicht dienen. Diese beiden Vereine werden sicher auch künftig das Gerüst der Nationalelf bilden.“

Am Freitag feiert Joachim Löw beim Länderspiel in Mailand gegen Italien (Anstoß 20.45 Uhr) sein Jubiläum, er wird zum 100. Mal auf der Trainerbank sitzen. Den Azzurri bescheinigt Löw in Sachen Taktik noch einen Vorsprung gegenüber deutschen Fußballern.

Italiener ohne Fehlerkette

„Die Italiener sind Meister im Besetzen und Öffnen von Räumen. In der Offensive öffnen sie mit ihren Laufwegen die Räume, und hinten besetzen sie die Räume besser als jede andere Nation. Wenn wir uns Gegentore fangen, ist es häufig eine Verkettung von mehreren Fehlern. Wenn einem Italiener mal ein Fehler unterläuft, erkennen die anderen intuitiv, wie sie diesen Fehler durch geändertes Stellungsspiel korrigieren. Eine Fehlerkette gibt es bei Italienern praktisch nie.

Gnadenlose Effizienz

Die Italiener werden nicht hektisch, sie vertrauen auf ihr taktisches Können. In der WM-Qualifikation hatte man zum Beispiel gegen Armenien nie das Gefühl, dass sie mit 100 % Einsatz spielen, aber am Ende reicht es immer. Mit einem Zwischenstand von 0:0 leben Italiener hervorragend, weil sie wissen: solange wir nicht in Rückstand geraten, sind wir auf der Siegerstraße. Unsere Mannschaft braucht natürlich ihre Spielfreude und die Kreativität, um zu gewinnen. Aber man kann sich von der italienischen Mannschaft die Coolness, Cleverness und die gnadenlose Effizienz abschauen. Die Italiener stört es kein bisschen, wenn sie mal drei Bälle auf die Tribüne hauen müssen. Wir würden uns daran stören. Wir oder andere Mannschaften geraten dann in Gefahr, den Rhythmus zu verlieren. Die Italiener nicht.

Mit abgeklärtem Gegner zurechtkommen

Außerdem hat unser Publikum inzwischen auch zu Recht ein anderes Anspruchsdenken. Aber auch das wäre Pirlo und Co. egal. Die würden sich von ihrer Linie nicht abbringen lassen. Meine Mannschaft muss lernen, mit so einem abgeklärten Gegner zurechtzukommen. Wenn bei denen der Trainer drei Finger hebt, stellen sie schnell auf Dreierkette um, wenn er vier Finger zeigt, spielen sie wieder Viererkette. Von einem auf den anderen Moment. Ohne Probleme. Wer zur WM nach Brasilien fährt, der muss gegen solche Gegner bestehen können.

Italiener haben bestes taktisches Gespür

In diesem Bereich können wir uns sicher verbessern, wir dürfen uns auch von den Unwägbarkeiten des Spiels nicht mehr so beeinflussen lassen. Die Italiener haben von allen Nationen das vielleicht beste taktische Gespür. Italiener können im Training auch mal 2 h auf dem Platz stehen, Laufwege üben und sich dabei nur den Ball zuwerfen. Da wächst die jeder Jugendfußballer mit Taktik auf. In Deutschland reden wir vielleicht seit zehn Jahren über Taktik, in Italien reden sie darüber schon immer und dort haben sie uns gegenüber einen jahrzehntelangen Vorsprung.“

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