Jürgen Klopp: Unser Umschaltspiel ist kein Hexenwerk

In der Heiligabend-Ausgabe der „Rheinischen Post“ hat Borussia Dortmunds Trainer Jürgen Klopp ein exklusives Interview gegeben. Darin muss der exzentrische Coach zu Anfang erstmal erklären, warum er in letzter Zeit so dünnhäutig auf Journalistenfragen reagiere.

Jürgen Klopp im Weihnachtsinterview (Foto: BVB)

Jürgen Klopp im Weihnachtsinterview (Foto: BVB)

„Unsere Mediendirektion hat mir schon vor geraumer Zeit gesagt, ich soll aufpassen, dass nicht alle Journalisten denken, dass ich denke: Die haben keine Ahnung. Es ist mir aber überhaupt nicht wichtig, jemandem so ein Gefühl zu geben. Ich reagiere immer nur auf das, was gefragt wird.

Wenn es in meinen Augen Unsinn ist, dann fällt es mir schon mein Leben lang schwer, das zu ignorieren. Es stört mich, wenn einer in die Pressekonferenz kommt und komplett unvorbereitet ist und an nichts interessiert ist, was mit Fußball zu tun hat.

Das Spiel in Hoffenheim war ein gutes Beispiel. Mehr Fußball, Leidenschaft und Chancen als da kann man nicht haben. Aber die Frage war die nach dem Zusammenstoß zwischen Reus und dem Linienrichter. Das empfinde ich als anstrengend.“

 

Klopp ist sich zu 100-prozentig sicher, dass er anders wahrgenommen werde als zu früheren Zeiten. „Ich trau‘ mich ja kaum noch, Interviews zu geben, weil Internetdienste es schaffen, einzelne Sequenzen herauszuziehen, die ich anschließend gar nicht mehr erkenne. Das hat mich immer schon gestört. Und ich hab‘ noch nicht gelernt, den Mund zu halten. Ich sage in Hoffenheim das Wort ‚Drecksleben‘, gehe aus dem Raum und denke: Klopp, was bist du für ein Idiot und wirfst denen auch noch was hin. Manche warten darauf, dass ich danebengreife.“

Und dass trotz des Umstandes, dass Klopp eigentlich ein absoluter Medienprofi ist. „Ich habe volles Verständnis, da bin ich komplett im Thema. Schließlich habe ich bei Sat.1 ein Praktikum gemacht und fürs ZDF gearbeitet. Ohne Medien könnten wir auf jeder Spielfeldseite zwei Stöcke in die Erde hauen und untereinander Fußball spielen. Aber dann interessiert’s keinen.“

Klopp verrät auch, dass er als Christ das Weihnachtsfest entsprechend feiert. „Ja, es ist die ruhigste Zeit im Jahr und die Familienzeit schlechthin. Es ist schön, dass dann die ganze Welt still steht – selbst im Fußball. Man kann komplett loslassen. Für mich als Trainer und Mensch ganz großartig. Für mich als Christ hat das Weihnachtsfest den Stellenwert, den es haben sollte.“

Dabei will Klopp aber auch das abgelaufene Jahr Revue passieren lassen. „Das war extrem, alles war dabei, was man so haben kann. Man könnte fast sagen, mit dem Tor von Arjen Robben im Champions League-Finale gingen unsere Probleme los. Die Mannschaft hat Unglaubliches geleistet. Fakt ist: Wir mussten uns nach dem 1:2 in London mit der Zukunft beschäftigen. Das haben wir durch sehr intensive Arbeit in der Sommerpause sehr gut hinbekommen. Und dann hat uns der Typ, der irgendwo fürs Verletzungspech zuständig ist, ganz übel mitgespielt.“

So werden natürlich vor allem die vielen Verletzten ins Gedächtnis zurückgerufen. „Die Mannschaft hat es dennoch in einer außergewöhnlichen Art hinbekommen. Man muss ja sehen: Wir gelten als Spitzenmannschaft, werden als Spitzenmannschaft wahrgenommen, wir werden so bespielt. Aber manchmal steht BVB drauf, und es ist nach den vielen Verletzungen nur BVB light drin. Dennoch haben wir in dieser ganz intensiven Zeit die meisten Torchancen aller Mannschaften herausgespielt. Aber das Leben ist so: Wenn du 99 Prozent richtig machst, musst du auch noch das eine Prozent richtig machen, sonst kriegst du nichts dafür.

Es ist eine Freude, mit diesen Jungs zu arbeiten. Sie werden mit dem Druck fertig, gewinnen zu müssen. Das letzte Unentschieden, das für uns als Erfolg gewertet wurde, ist lange her. Diesen Druck haben wir uns erarbeitet. Was Verletzungen betrifft, ist es das härteste meiner Trainerkarriere. Da kommt eine Diskussion auf, die an den Haaren herbeigezogen ist: Dass die Verletzungen mit unserer Spielweise zusammenhängen. Da muss man doch nur schauen, wer verletzt ist – und im Einzelfall, warum. Da merkt man schnell, dass das nichts miteinander zu tun hat. Das Gute daran ist, dass Erik Durm, Marian Sarr, Jonas Hofmann und andere die Chance bekommen, in einer Top-Bundesligamannschaft zu spielen.“

Der Coach will hier auch mit dem Vorurteil aufräumen, der Kader sei nicht gut genug besetzt. „Eine komplette Achse ist uns weggebrochen, das verändert das ganze Spiel. Zwei Innenverteidiger, zwei Außenverteidiger, zwei, drei defensive Mittelfeldpieler. Der ganze Aufbau ändert sich, aber am Ende kommen wir doch vors Tor. Das ist einfach stark. Wir sind ohne sieben aus dem Champions-League-Finale wieder ins Achtelfinale eingezogen. Dieses Halbjahr hat uns Stabilität gebracht, das ist das Beste, wenn es nicht zur absoluten Spitze reicht. Wir waren auf allen Positionen im Sommer gut besetzt. Dass alles zusammenkommt, damit kannst du nicht rechnen. Aber wir wollen kein Mitleid. Wir weichen nicht von unserem Weg ab, und wir haben Jungs, die wir in eine funktionierende Einheit reinbringen können.“

Klopp erlaubt auch Einblicke in taktische Details. „Für die Gegner sind wir trotz der Ausfälle nicht schwächer geworden. Mein Kollege Gisdol aus Hoffenheim hat sich gefreut, dass er gegen sein selbst erklärtes Vorbild, den Champions-League-Finalisten, einen Punkt geholt hat. Aus der Mannschaft von London waren aber nur noch wenige dabei. Ich wäre lieber kein Vorbild, sondern Erster. Außerdem: Unser schnelles Umschaltspiel ist ja kein Hexenwerk. Und wir haben das Rad hier nicht neu erfunden.

Als Wolfgang Frank in Mainz vor vielen Jahren mit einer Videokassette vom AC Mailand kam und der Viererkette, da spielte das in Deutschland noch keiner. Wenn er nur mit ein paar Stangen gekommen wäre, hätten wir ihm gesagt: Gib‘ uns einen Ball und lass‘ uns trainieren. Weil aber der große AC Mailand mit Baresi, Maldini, Albertini und Trainer Sacchi so gearbeitet hat, die beste Mannschaft der Welt, haben wir es auch gemacht. Es ist einfach, man kann es trainieren. Und um unser Spiel gibt es auch kein Geheimnis: Wir müssen einen relativ hohen Aufwand betreiben. Wenn es nach dem Spiel heißt: Der Gegner ist 115 km gelaufen, der BVB 122, dann ist das eine einfache Wahrheit.“

Der bisherige Erfolgstrainer philosophiert auch über den Stellenwert von Erfolg und Applaus im Profifussball. „Definitiv klopfe ich mir nicht selbst auf die Schulter ob der Erfolge. Das setzen ja alles die Spieler da unten auf dem Rasen um. Wir im Trainerteam haben nur geglaubt, dass unsere Vorstellung vom Spiel der Weg sein könnte, in Dortmund Erfolg zu haben. Die Folge dieser guten Taten ist: Jeder hat gesehen, dass wir in relativ kurzer Zeit eine außergewöhnliche Entwicklung genommen haben. Und jeder denkt: Wenn die das können, dann können wir das auch.

„Ich nehme dabei schon wahr, wie wir bewertet werden. Aber wenn man das Lob zu sehr an sich heran lässt, dann wird man damit weichgespült und hängt durch. Das hab‘ ich so gar nicht. Wahnsinnig viele Talente hab‘ ich ja nicht, aber unter Strom stehe ich immer. Ich neige nicht einmal im Ansatz zum Weichwerden.

Natürlich bekommen wir schon mit, dass die Leute ein bisschen Spaß an uns haben.Wir dürfen nicht vergessen, dass es unglaublich viele Menschen gibt, denen es sehr wichtig ist, was wir tun. Denen müssen wir etwas geben. Wir müssen zeigen: Wir geben nicht auf. Es ist mir wichtig, dass das so bleibt. Deswegen mag es auf der Welt Milliarden Menschen geben, von denen man den Eindruck hat, die könnten besser verlieren. Aber wenn du bis zur 95. Minute voll auf Wettkampf gebürstet bist, dann fühlt sich zehn Minuten nach dem Abpfiff eine Niederlage noch immer wie ein Schlag in den Magen an.“

Abschließend sagt Klopp auch noch, warum er trotz aller Widrigkeiten seinen Job sehr gerne ausübt. „Mich fasziniert die Lebendigkeit des Fußballs. Das versuche ich meiner Mannschaft mitzugeben. Am Ende geht es nur ums Ergebnis, dem stelle ich mich komplett. Aber der Weg dahin, der ist mir nicht egal. Ein Fußballspiel in so einem Stadion wie unserem, das muss ein Erlebnis, ein Spektakel sein. Das muss dich packen. Ich will nicht dahin, wo die Besten gegen die Blindesten spielen. Ich muss das Gefühl haben, dass ich richtig was gewinnen kann. Deshalb liebe ich die engen Wettkämpfe. Die Gegner mit taktischen Mitteln auf dein Niveau runterziehen und sie dann schlagen. Das versuchen wir, so haben wir unsere Entwicklung eingeleitet. Schon damals haben wir uns nicht klein machen lassen. Das honoriert unser Publikum. Das ist großartig und eine Verpflichtung für die Zukunft.“

 

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