WM 2014: Zwei Tote bei Unglück in São Paulo

  • Kran stürzt auf Stadiondach
  • 2 Arbeiter zerquetscht
  • Was wird jetzt aus WM?

Die Bilder sind grausam, Brasilien und die Fußballwelt geschockt! Zum wiederholten Male wird das Land am Zuckerhut von einem Unfall auf einer Stadionbaustelle erschüttert. Zwei Menschen kamen jetzt bei einem Unfall auf der Baustelle des Stadions in São Paulo ums Leben, wo 1.600 Arbeiter unter zum Teil unzumutbaren Umständen malochen.

Auf den Baustellen für die neuen Stadien in Brasilien herrscht seit langem große Nervosität, die Baufirmen stehen unter Zeitdruck, vor allem in Sao Paulo, wo am 12. Juni 2014 im „Itaqueirão“ die WM eröffnet werden sollen.

Odebrecht wirbt mit nachhaltiger Ausbildung

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Die verantwortliche Baufirma Odebrecht hat an der neuen Heimstätte der Corinthians viele Arbeiter von Subunternehmen unter Vertrag genommen. Jetzt ist ein Kran umgekippt, der ein 500 t schweres Teil des Stadionsdachs in die Luft gehoben hatte. Der Arm des Krans stürzte auf einen Hilfskran, der Kranfahrer und ein weiterer Arbeiter wurden zu Tode gequetscht. Auch das Stadiondach wurde in Mitleidenschaft gezogen. Brasilianische Medien spekulieren, dass die Bauleiter das Gewicht falsch berechnet haben sollen.

„In letzten Tagen hat es stark geregnet“, erklärte Carsten Bruder Brasilien-Korrespondenz von „Sky“. „Und normalerweise wird unter solch einen Kran ein Betonfundament gelegt. Dies soll nicht der Fall gewesen sein, behaupten Augenzeugen, so ist unter dem Kran das Erdreich weggesackt.“

Bauleiter Andrés Sanchez ist von der Tragödie schwer gezeichnet: „Wir denken natürlich jetzt nicht an die WM und an die FIFA, sondern nur an die Familien der betroffenen Arbeiter. Es ist natürlich ein schwerer Schicksalsschlag.“ Sein Kollege Frederico Barbosa ergänzt: „An der Statik des Stadions ist nichts beschädigt worden, die Sicherheit der Arena können wir auf jeden Fall gewährleisten. Es wurde lediglich ein kleiner Teil beschädigt, keine tragenden Wände.“

Bis 31. Dezember soll das Prestigestadion fertig gestellt sein und der FIFA übergeben werden. Dieser Zeitplan könnte jetzt ins Stocken geraten. Denn die Staatsanwaltschaft des Bundeslandes São Paulo hat jetzt mitgeteilt, dass man in den nächsten 14 Tagen am Unfallort einen Kontrollebesuch in die Tat umsetzen werde. Nach dem Unfall ist die Baustelle sofort gesperrt worden, die Mitarbeiter wurden aus der Gefahrenzone gebracht. Ein Architekt verriet, dass zwei Stockwerke der Zuschauertribünen völlig zerstört seien.

„Wie erwägen, einen Antrag bei der Justiz auf Einstellung der Bauarbeiten im Stadion zu stellen“, erklärte der leitende Staatsanwaltschaft José Carlos des Freitas dem Nachrichtenportal „G1“. „Im Stadion ‚Itaqueirão‘ war sowieso ein Kontrollebesuch geplant, weil schon am 29. Oktober die Feuerwehr 50 Sicherheitsmängel festgestellt hatte. Der Unfall mit Toten ist jetzt natürlich ein weiterer Anlass zu prüfen, ob ein Baustopp verhängt werden muss.“

Zunächst sind die Bauarbeiten am Stadion bis Montag unterbrochen, die Zeitung „Folha de São Paulo“ will aus Kreisen des Organisationskomitees bereits erfahren haben, dass die FIFA, die für den 31. Dezember festgelegte Stadionübergabe um mindestens einen Monat bis Ende Januar aufschieben wolle.

Jair Paca de Lima, General der Sicherheitspolizei des Bundesstaates São Paulo, sagte: „Unsere Experten werden jetzt genau jeden Winkel des Stadions auf Sicherheitsmängel überprüfen, schließlich hat der Kran massive Schäden an 30 % der Stadionkonstruktion verursacht.“

Entsetzen natürlich auch bei der FIFA. Präsident Sepp Blatter zwitscherte im sozialen Netzwerk Twitter: „Ich bin zutiefst traurig über den tragischen Tod der Arbeiter an der Corinthians Arena. Unser herzliches Beileid gilt ihren Familien.“ Sein Generalsekretär Jérôme Valcke twitterte ebenfalls: „Wir alle sind schockiert über die Vorkommnisse, unsere Gedanken sind jetzt bei den Familien der Opfer.“

Der Brasilianer Giovane Elber kritisierte die Bedingungen, unter denen die Bauarbeiter in Brasilien schaffen müssen: „Das passiert nur dann, wenn man unter Zeitdruck steht. Die haben gewartet bis zur letzten Sekunde, obwohl sie schon seit 2010 wussten, dass sie Stadien neu bauen müssen“, so der Ex Bundesligaprofi gegenüber „Sky Sport News HD“.

Dabei wäre der Neubau in São Paulo gar nicht nötig gewesen, werfen Kritiker unter anderem Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva vor. Lula ist eingefleischter Corinthians-Fan und hatte sich für den fast 300 Millionen € teuren Neubau der Arena stark gemacht. Für viel weniger Aufwand hätte man das Stadion „Morumbi“, die Heimat des FC São Paulo, zu einer WM-Arena umbauen können. Mit Krediten der staatlichen Entwicklungsbank BNDES und der staatlichen Sparkasse wird der Bau hochgezogen, Lula ist zudem bestens vernetzt im Bauunternehmen Odebrecht, das den Zuschlag für die Errichtung bekommen hatte.

In einem Imagemagazin wirbt der Baukonzern damit, dass man seit 2008 rund 73.000 Menschen ausgebildet habe, die große soziale Verantwortung bezüglich der Sicherheit der Mitarbeiter wird herausgestellt. Gerade daran soll es aber zuletzt gehapert haben.

Bauarbeiter José Mário da Silva sagte dem Nachrichtenportal „G1“: „Es hätte noch mehr Todesopfer geben können, wenn das Unglück nicht während der Mittagspause passiert wäre.“ In einer offiziellen Presseerklärung bedauert der Weltfußballverband den Vorfall: „Die Sicherheit der Arbeiter ist erste Priorität für die FIFA, das Organisationskomitee und die brasilianische Regierung.“

Nach rund zweieinhalb Jahren Bauzeit war die Arena fast fertig gestellt, in der am 12. Juni 2014 das WM-Eröffnungsspiel des Gastgebers Brasilien, drei WM-Gruppenspiele, ein Achtel- sowie ein Halbfinale ausgetragen werden sollen. Somit wird Brasilien erneut von einem schweren Unfall bezüglich der Stadionneubauten erschüttert. Denn schon im Juni 2012 starb ein Arbeiter an der Stadion-Baustelle von Brasilia, er stürzte aus 30 m Höhe ab. Im März 2013 fand ein weiterer Bauarbeiter den Tod, er starb ebenfalls infolge eines Sturzes in der Baustelle der Amazônia-Arena in Manaus.

Ist es eigentlich Schicksal, dass nicht nur in Brasilien, sondern auch bei WM-Ausrichter 2022 Katar immer wieder unglaubliche Nachrichten über die Zustände an den Baustellen ans Tageslicht kommen?! Sollte sich die FIFA nicht mal Gedanken über die Vergabe der WM-Gastgeber machen?

Schließlich machten die unmöglichen Bedingungen der Gastarbeiter an den Baustellen in Katar zuletzt weltweite Schlagzeilen. Auch der Umstand, dass Profis und Trainer, die in der Liga Katars arbeiten, aufgrund einer unmöglichen Gesetzeslage bei Vertragsauflösung nicht aus dem Land gelassen werden, zeigt die Unfähigkeit und eigentliche Unmöglichkeit, dort ein WM-Turnier auszutragen.

Durch die globalen Medien ging zuletzt die bewegende Geschichte des französischen Fußballprofis Zahir Belounis der in Katar aufgrund des perfiden Systems festsitzt. In einem offenen Brief wendete sich der Franzose vor 14 Tagen verzweifelt an Zinedine Zidane und Bayern-Trainer Pep Guardiola. Belounis bekommt kein Ausreisevisum aufgrund eines Vertragsstreits, den er mit seinem Ex-Club Al-Jaish führt. In seinem Schreiben bettelt Belounis um Hilfe: „Seit Monaten durchlebe ich einen Albtraum wegen des Kafala-Systems. Es bringt mich langsam um, und viele andere könnten dasselbe erleben.“

Im Gegensatz zu Arsenal Londons Trainer Aresene Wenger, der die FIFA jetzt aufgefordert hat, die Arbeitsbedingungen der Gastgeber auf den WM-Baustellen zu verbessern, hat der Kollege Guardiola weder auf den Brief noch auf die unmöglichen Zustände reagiert. Auf wiederholte Anfrage der „Süddeutschen Zeitung“ erklärte der FC Bayern, das Guardiola die Fakten nicht kenne und sich nicht äußern könne.

Liegt vielleicht auch daran, dass Guardiola einen zweistelligen Millionenbetrag kassiert haben soll, um für den Wüstenstaat WM-Werbung zu machen. Im Januar 2013 schrieb das französische Fachmagazin „France Football“ dazu: „Man musste natürlich großzügige Botschafter für ein Land zahlen, das nie einen bekannten Fußballer hervorgebracht hat.

Die Rekrutierung von Gabriel Batistuta, Pep Guardiola, Zinedine Zidane – der offenbar schwer zu überzeugen war –, Bora Milutinovic, Ronald de Boer und Roger Milla hat 5,5 Millionen Euro gekostet. Zu diesen Summen muss man die Prämien nach dem Zuspruch zählen, um weiterhin positive Botschaften zu verkünden. Die Schätzungen reichen von 11 bis 25 Millionen Euro für die wichtigen Köpfe Zidane und Guardiola, den zukünftigen Bayern-Trainer.“

Schon erstaunlich wie unkritisch deutsche Fußballfunktionäre mit den Zuständen in Katar umgehen. Fast an Peinlichkeit kaum zu überbieten ist hier die Aussage von Franz Beckenbauer: „Also, ich hab noch keinen einzigen Sklaven in Katar gesehen. Die laufen alle frei rum. Die Menschen dort sind weder in Ketten gefesselt noch haben sie irgendwelche Büßerkappen am Kopf. Vom arabischen Raum habe ich mir ein anderes Bild gemacht, und ich glaube, mein Bild ist realistischer.“

Da werden schreckliche Erinnerungen an die WM 1978 in Argentinien wach, der DFB goutierte damals die Militärdiktatur um General Videla. Man residierte hermetisch abgeschirmt von der Außenwelt in der Erholungsanlage Ascochinga, die im Besitz der argentinischen Luftwaffe war, die in der damaligen Zeit großen Anteil an Folter und Mord hatte.

Dort begrüßte DFB-Präsident Hermann Neuberger sogar den ehemaligen Nazi-Oberst Hans Ulrich Rudel, einst Wehrmacht-Kampfflieger im Zweiten Weltkrieg. Ihm wurden von Adolf Hitler für seine Dienste zahlreiche Orden ans Revers geheftet, Rudel lebte nach dem Krieg in Paraguay und Argentinien. Dort handelte er zwischen ehemaligen Naziführern und deutschen Firmen Vertretungsverträge aus. Auch nach dem Krieg war bei Rudel keinerlei Reue erkennbar.

Neuberger rechtfertigte den Besuch der Ex-Nazi-Größe: „Herr Rudel ist, soweit ich weiß, deutscher Staatsbürger mit den gleichen Rechten, wie die kritischen Demonstranten in Deutschland und ich hoffe, dass man ihn nicht seinen Pilotenberuf im Zweiten Weltkrieg zum Vorwurf macht.“ Der DFB-Pressesprecher setzte noch einen drauf und verriet, dass Rudel der persönliche Berater von Bundestrainer Helmut Schön sei…

Auch die Nationalspieler ließen bei der Beurteilung der Umstände am Rio de la Plata aber kein Fettnäpfchen aus. Kapitän Hans Hubert Vogts: „Argentinien ist ein Land, in dem Ordnung herrscht. Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen“, biss „Terrier“ Berti brutal jede Kritik am Umgang des DFB mit der Militär-Junta weg und ergänzte bezüglich der besorgniserregenden Berichte von Amnesty International: „Amnesty sollte lieber mal im STERN nachlesen, was da über russische Lager drinsteht.“ Bayern Münchens Torhüter Sepp Maier sinnierte:„Hernach kommen wir rüber, sprechen uns aus, und dann sind wir auch verhaftet.“ Und Hamburgs Manni Kaltz überraschte mit einer verbalen Bananenflanke: „Nein, belasten tut mich das nicht, dass dort gefoltert wird.“

Etwas Zivilcourage zeigten lediglich die Niederländer, die nach der Finalpleite gegen Gastgeber Argentinien der Medaillenübergabe von Junta-Jefe Jorge Videla fernblieb. Während des Turniers wurde fleißig weiter gemordet, schon fast sarkastisch die Begrüßungsworte bei der Eröffnungsfeier des damaligen FIFA-Präsidenten Havelange, der freudestrahlend verkündete: „Endlich kann die Welt das wahre Argentinien kennenlernen.“ Nur wenige 100 m vom Monumentalstadion in Buenos Aires entfernt wurden im Vernichtungs- und Folterzentrum der Marineakademie Menschen gefoltert und getötet. Zwischen 1976 und 1983 fielen über 30.000 Menschen der Militärdiktatur zum Opfer.

Auch 35 Jahre später scheinen sich die Zeiten nicht geändert zu haben: gute Beziehungen, Geld und Macht spielen immer noch die Hauptrolle, Menschenrechte werden außer Acht gelassen. Dazu passt der Kommentar von FIFA-Boss Blatter bezüglich der Arbeitsbedingungen in Katar: „Das ist nicht das Problem der FIFA, sondern des Ausrichterlandes…“

Während des Confederation Cups im Sommer stimmte die brasilianische Bevölkerung bereits mit den Füßen ab, dass man die WM wegen der horrenden Ausgaben nicht will. Auch damals nur süffisante Kommentare seitens der FIFA-Führung. „Der Fußball ist stärker als die Unzufriedenheit der Menschen“, orakelte Blatter vor der Veranstaltung. „Wenn der Ball einmal rollt, werden die Menschen das verstehen, und die Proteste werden aufhören.“ Er sollte Unrecht behalten.

Dann kann der Ball also rollen, nicht wahr…!?

 

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